Interview mit Zigi Shipper - Teil 1
Geschichte
Unsere Schülerinnen und Schüler wachsen in einer sich ständig verändernden, nach Neuem strebenden Zeit heran. Ihre Lebenswelt scheint von nichts so sehr bestimmt zu sein, wie dem rasanten technischen und medialen Fortschritt unserer Epoche. Gleichzeitig umgibt sie aber in gleichem Maße eine Welt, die historisch gewachsen ist und ihre Wurzeln in einer komplexen Vergangenheit hat. Ihre Spuren sind gerade in Neustadt und der Region vielfältig und bedeutungstragend.
Im Geschichtsunterricht, der von der sechsten Klasse an durchgehend zweistündig erfolgt, und in Projektgruppen befassen wir uns daher gemeinsam mit den historischen Fragestellungen, Strukturen und Abläufen, die auch für die Orientierung und eine sinnhafte und konstruktive Beteiligung in der heutigen Gesellschaft wichtig bleiben. Von großer Bedeutung ist uns dabei, eine Kultur der Erinnerung zu etablieren, die sich über das reine Schulwissen hinaus mit der Geschichte des Lebensortes auseinandersetzt.
Aus diesem Grund unternehmen wir in den unterschiedlichen Jahrgangsstufen verschiedene Exkursionen und führen im und neben dem Unterricht Projekte durch, die wir zu einem "Erinnerungskonzept" zusammengefasst haben.
FlexProjekt Cap Arcona 2017 "Szenische Lesung"
Auch der diesjährige Beitrag des Küstengymnasiums an der Gedenkfeier zum Untergang der Cap Arcona Katastrophe am 3. Mai 1945 wurde im Rahmen eines Flexprojektes ausgearbeitet. Elf Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen 9 und E beschäftigten sich an drei Schultagen intensiv mit den Ereignissen und Zusammenhängen rund um den Untergang der Häftlingsschiffe in der Neustädter Bucht. Besonders spannend gestaltete sich diesmal die Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen.
So stand nach einer Einführung und einer Begehung der Gedenkstätte im Rahmen des Projektes auch ein Besuch des Cap Arcona Museums an, bei dem die Gruppe sich bei Herrn Lange Fundstücke anschaute und weitere Informationen zu den tragischen Umständen einholte, die letztlich zur Katastrophe geführt haben. Einen Schwerpunkt bildete zudem die Frage, wie das Thema für die jüngeren Generationen, aber auch für die Stadt und die Region bedeutend bleiben kann.
So gerüstet ging es an die Arbeit: Zusammen mit Herrn Thomas Käpernick vom Arbeitskreis Cap Arcona sollte ein Beitrag für die Gedenkfeier entstehen, der die Ereignisse um den 3. Mai 1945 aus der Sicht einiger Überlebender schildert und so versucht, einen kleinen Einblick in die Ängste und das Leiden, aber auch den unerschütterlichen Willen und die Hoffnungen der Häftlinge zu vermitteln. Zu diesem Zweck arbeitete die Gruppe an verschiedenen Zeitzeugenberichten, die Herr Käpernick zuvor im Archiv der Gedenkstätte Neuengamme ausgewählt und zur Verfügung gestellt hatte.
Im Rahmen der Gedenkfeier wurde das Ergebnis dieser Arbeit dann in Form einer Szenischen Lesung präsentiert.
FlexProjekt Cap Arcona "Erinnern heißt verstehen"
Die vergangenen drei Schultage stellten für elf Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen 7 bis Q1 des Küstengymnasiums eine ungewöhnliche Herausforderung dar. Sie wurden mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, einen Beitrag der Schule für die Gedenkfeier zum 71. Jahrestag der Cap-Arcona-Katastrophe zu erarbeiten. „Gegen das Vergessen“ lautet die Überschrift, unter der die Schüler nun ein Zeichen setzen wollen, das nicht nur ihre Altersgenossen dazu anregen soll, sich an diesen dunklen Moment der Neustädter Geschichte zu erinnern, sondern alle Neustädter auffordert, der Geschichte ihrer Heimatstadt wieder gewahr zu werden: Am Gedenktag starten vom Gelände des Ehrenmals aus 71 Luftballons (für jedes Gedenkjahr einer), die auf Karten geschriebene Zitate der Überlebenden tragen und den Findern Anlass zur Erinnerung und Mahnung sein sollen.
Für die Zeit des Projektes, das neben dem regulären Unterricht stattfand, wurden die Schüler vom eigentlichen Unterricht freigestellt und arbeiteten weitgehend selbständig mit viel Engagement und Ernsthaftigkeit an der Umsetzung ihrer Ideen. Dabei ging es zunächst darum, sich mit der Geschichte des Untergangs an sich und der Problematik der Aufarbeitung zu beschäftigen, was gerade für die jüngeren schon eine gewisse Herausforderung darstellte. Gemeinsam mit den beratenden Lehrern wurden die nächsten Schritte geplant und umgesetzt – vom Studium der Berichte der Überlebenden und der Auswahl geeigneter Zitatstellen über die Gestaltung der Karten bis hin zur Formulierung einer kurzen Rede für die Gedenkfeier, die den Abwesenden die Idee des Projektes erläutern soll. Auch der Auftritt auf der Gedenkfeier und v. a. die Rede stellten eine nicht alltägliche Aufgabe dar und musste geübt werden.
Wenngleich unsere Ballons letztlich nicht wirklich auf Reise gehen konnten, setzte unsere Aktion einen wohl allen in Erinnerung bleibenden Schlusspunkt für die sehr bewegende Gedenkfeier, von der uns vor allem die Redebeiträge der Überlebenden beeindruckt haben.
FlexProjekt Cap Arcona 2015 "Die Katastrophe in der Neustädter Bucht"
Der Beitrag des Küstengymnasiums zum Gedenken an die Cap Arcona-Katastrophe bildete am 4. Mai den Abschluss einer Reihe beeindrucktender und eindringlicher Veranstaltungen zum 70. Jahrestag der Tragödie in der Neustädter Bucht. Zuvor war die Szenische Lesung im Rahmen des Erinnerungskonzeptes der Schule allen Schüler*innen ab der 8. Klasse gezeigt worden.
FlexProjekt Cap Arcona 2016 "Zu Ehren Henryk Francuz"
15 Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Jahrgangsstufen haben sich in den vergangenen drei Tagen unter Anleitung des Historikers Thomas Käpernick mit der Lebensgeschichte eines Überlebenden der Cap Arcona Katastrophe beschäftigt. Ziel war es, dem im letzten Jahr Verstorbenen Henryk Francuz ein "kleines Denkmal” zu setzen. Neben der Recherche-Arbeit, deren Ergebnis folgender Text ist, hat die Gruppe auf der Grundlage von Zitaten aus Francuz’ Lebensbericht auch gestalterisch gearbeitet. Die Ergebnisse können neben einigen Bildern vom Projektablauf weiter unten betrachtet werden.
Besonders schön ist, dass die Projektgruppe über Herrn Käpernick zum Abschluss noch den Sohn des Verstorbenen via E-Mail kontaktieren und von ihrem Vorhaben und den Ergebnissen informieren konnte. Dies ist seine Antwort:
Henryk FrancuzHello Thomas, I am very touch my father was a very special man, I’m with tears that someone remembers his journey of life. The war for my father did not stop when he was liberated. Everyday he fought his own demons and I as a child was part of it. I thank you so much for making my fathers name known. Thank the children who are doing there works on the holocaust, they must know that a person lives and dies but he has a name. My father was very dear to me. My flesh and blood. I respect your work very much. I want to add that Germany suffered very much and I respect the people. […]
Sincerely yours
Michael Adam Francuz
„I did not have a happy childhood during the time shortly before my father died and afterwards.“
Henryk Francuz wurde am 16. Februar 1925 in Lodz, Polen, geboren. Seine leibliche Mutter verstarb 1928, als er drei Jahre alt war, sein Vater zwei Jahre vor dem Krieg im Dezember 1937, während er noch zwölf war. Seine Stiefmutter und ihre Familie prägten vor allem seine Kindheit. Er wusste bis zu seinem neunten Lebensjahr nicht, dass sie seine Stiefmutter war.
Vom Kindergarten bis zur siebten Klasse ging er zu einer hebräischen Schule. In seiner Freizeit war er aktiv in mehreren zionistischen Jugendgruppen tätig, beschreibt sich aber insgesamt als unpolitischen Menschen, der nicht wusste, was „im Land geschah oder im Osten vor sich ging.“ Er sprach zwei Sprachen – Hebräisch und Polnisch, allerdings nicht Yiddish, was zu Problemen führte, als er 1939 ins Ghetto kam, da er sich dort nach eigenen Angaben nicht mit den anderen austauschen konnte.
„I was not a political animal.“
Die Schwestern seiner Stiefmutter nahmen ihn bei sich auf. Die eine war Zahnärztin, der zweiten gehörte eine Bibliothek. Er selbst machte eine Ausbildung zum Elektriker. Ins Ghetto ging er, nachdem in seinem Viertel nachts regelmäßig und willkürlich Menschen ermordet worden waren. Im Ghetto selbst übten seine Tanten ihre Berufe weiter aus, während er in Fabriken oder Bäckereien elektrische Anlagen reparierte.
„The most famous Aktion was the Sperre”
Die Zustände im Ghetto verschlechterten sich zunehmend. Krankheit, Kälte und Hunger wurden allgegenwärtig, die Menschen wurden von der Außenwelt vollkommen isoliert, die einzigen Informationsquellen waren wenige Radios und Zeitungen. Als besonders drastisch empfand Henryk Francuz die so genannten „Sperren“, Aktionen der SS, bei denen schwache und kranke Menschen in Konzentrationslager deportiert wurden: „The most famous Aktion was the Sperre, which lasted more than a week — ten days. The term Sperre means blockade. One could not go out in the streets and the Germans would go with the Jewish police and they would fill the daily quota with weak and sick people. My step mother was taken during the Sperre.“
„The difference was, that despite all the hunger and cold, here in the camp you where without family. It was a different planet.”
Um nicht Ziel der regelmäßigen Deportationen zu werden, versteckte sich Henryk Francuz mit anderen im Ghetto. Bei der endgültigen Räumung des Ghettos wurde jedoch auch er entdeckt und in einem Zug nach Marishin und später in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt. Francuz versuchte aus einem der kleinen Wagons, in die jeweils 40–50 Menschen gepfercht worden waren, zu entkommen, doch er war auf die Hilfe anderer Gefangener angewiesen, die jedoch Angst vor den Deutschen hatten und das Risiko erwischt zu werden nicht eingehen wollten.
Als sie im „Camp“ – Auschwitz Birkenau – ankamen, wurde Francuz bei der Selektion für arbeitsfähig befunden und im folgenden auf erniedrigende Weise komplett rasiert, desinfiziert, geduscht und in die Häftlingsuniform gekleidet, die er als „Clownskostüm“ beschreibt. Das Schlimmste in Birkenau seien laut Francuz nicht Kälte und Hunger, sondern die Einsamkeit ohne die Familie gewesen, denn in den Baracken herrschten grausame Bedingungen: Die Menschen schliefen „übereinander gestapelt“ und ohne Decke auf dem Betonboden. Außerdem litt er unter der Schikane des „Blockältesten“, einem Häftling, der für die Ordnung und Sauberkeit in der Baracke zuständig gewesen war, in seinem Fall ein polnischer Häftling. Der Blockälteste stahl den anderen Insassen das Essen, um selber besser zu leben; auch Henryk Francuz wurde täglich seiner kleinen Portion Margarine beraubt.
“I was the only one who did not step out.“
Aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung als Elektriker wurde Francuz in ein Außenlager – Auschwitz Fürstengrube – gebracht. Am Anfang machte Fürstengrube einen besseren Eindruck als Birkenau, da die Bedingungen ihm zunächst erträglicher erschienen. Man ließ ihn andere Kleidung für die Arbeit anziehen, um ihn vor den nassen Wänden der Mine zu schützen, er konnte warm duschen und deutsche Soldaten von der Luftwaffe gaben ihm unbemerkt etwas zu Essen. Doch auch in Fürstengrube wurden Häftlinge Opfer der SS. Francuz war im Zuge einer Lager-Aktion, bei der alle jüdischen Insassen des Außenlagers ermordet wurden, nur knapp dem Tode entronnen, da er sich nicht als Jude zu erkennen gab.
„The ship began to explode, and fire…and everything was flying around.“
Francuz blieb bis zur kompletten Räumung des gesamten Lagerkomplexes am 18. Januar 1945. Dann ging er mit etwa 1000 Häftlingen am so genannten „Todesmarsch“. Schon auf der ersten Etappe, die Francuz nach Dora-Nordhausen führte, wo er von Februar bis März in unterirdischen Einrichtungen beim Bau der V1– und V2-Raketen Zwangsarbeit leisten musste, verstarb rund die die Hälfte der Häftlinge des Marsches an Hungersnot und Kälte. Wegen der näher rückenden Roten Armee wurden Francuz und die weiteren Überlebenden zunächst in Züge und dann auf eine Fähre verfrachtet und legten anschließend noch eine Wegstrecke von 40–50 km zu Fuß bis nach Ahrensbök bzw. Siblin zurück. Von dort aus ging es dann Ende April 1945 über Pönitz und Süsel nach Neustadt in Holstein, wo Francuz schließlich am dritten Mai auf den ehemaligen Luxusdampfer Cap Arcona kam.
Die Bombardierung des Schiffes überlebte er, obwohl er nicht schwimmen konnte, indem er sich an einer Holzplanke festhielt. Erst am Abend wurde er von einem britischen Boot in den Hafen transportiert und verbrachte die Nacht in einem Speicher am Neustädter Bahnhof. Wegen der Verbrennungen, die er sich bei der Flucht von dem brennenden Schiff zugezogen hatte, musste er zehn Tage im Krankenhaus bleiben.
„There are things that are more universal than the narrow perspective of the good of a nation.“
Henryk Francuz blieb bis zum Sommer 1947, begann sogar ein Studium, das er nach seiner Rückkehr nach Polen beendete. Dort lernte er dann auch seine Frau Dorota kennen, die bereits im selben Ghetto wie er gewesen war, und zog im Mai 1957 mit ihr nach Israel. 1987 emigrierte er nach Washington, wo er fünf Jahre wohnte und sein Sohn Michael geboren wurde. 2012 und 2016 erinnerte er auf den Gedenkfeiern zur Katastrophe in der Lübecker Bucht an die Leiden der Häftlinge und richtete einen wichtigen Appell an die nachfolgenden Generationen: „Lasst es nicht wieder geschehen.“
Im Sommer 2017 verstarb er in Tel Aviv.
Vergiss deinen Namen nicht
Zu einer ganz besonderen Lesung waren am Dienstag Vormittag die Schülerinnen und Schüler unserer Oberstufe eingeladen. Der Historiker Alwin Meyer stellte dort sein Buch „Vergiss deinen Namen nicht – Die Kinder von Auschwitz“ vor, worin er die Lebensgeschichten einer Reihe von Menschen zusammengetragen hat, die als Kinder in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden sind oder dort geboren wurden und den Holocaust überlebten.
Im Anschluss beantwortete Alwin Meyer im Rahmen einer regen Diskussion Fragen zur Recherche und berichtete von den vielen, oft stunden– und tagelangen Interviews mit den Überlebenden, zu denen er z.T. noch immer persönliche Beziehungen pflegt. Das von ihnen Erlebte kann nicht vergessen werden und lebt noch heute in den Familien weiter. Vielen Dank an Herrn Rainer Jahnke, der die Lesereise organisiert hat.Revolution!
2018 jähren sich zum 100. Mal das Ende des ersten Weltkrieges und die darauffolgende Revolution in Deutschland. Anlässlich dieser Gedenktage wird die gesamte Oberstufe am 25. Oktober 2018 im Rahmen unseres Erinnerungskonzeptes die Theaterinszenierung „Revolution?!“ des Achsensprungtheaters aus Hamburg besuchen. Das Theaterstück, das sich auf die historischen Ereignisse in den Monaten Oktober 1918 bis Sommer 1919 bezieht, stellt mit fünf Protagonisten die Zeit des Umbruches in Deutschland dar.
Ballinstadt - Besuch des Auswanderermuseums
Warum verlassen Menschen ihre Heimat? Bis heute wandern Millionen von Menschen aus, um in einem fernen Land ein neues Leben zu beginnen. Welche Hoffnung verbinden sie damit? Unter welchen Bedingungen verläuft diese Auswanderung? Was erwartet sie im Land ihrer Träume? Diesen Fragen gingen die Schüler*innen der Klasse 8d nach, die in der vergangenen Woche einen Wandertag ins Auswanderermuseum nach Hamburg unternommen haben.
Spannend verlief zunächst die eigene Anreise der Klasse nach Hamburg, war dieser Montag doch der Streiktag der Bahn. Glück gehabt – alle Züge waren (fast) pünktlich, so dass wie geplant die Rallye durch die Ausstellung gemacht werden konnte und danach noch genügend Zeit blieb, um den Weihnachtsmarkt zu erkunden. Fröhlich und gut gestärkt mit allerlei (weihnachtlichen) Leckereien ging es am Nachmittag zurück nach Neustadt.
Besuch der Ausstellung «Vergiss uns nicht»
Die Schülerinnen und Schlüer der 9b besuchten im Rahmen des Geschichtsunterrichts eine ganz besondere Ausstellung im ZeiTTor-Museum und den Räumlichkeiten des KJN. „Vergiss uns nicht“ ist eine Dokumentation, die generelle Informationen zum Dasein im Konzentrationslager Auschwitz, insbesondere aber ausgewählte Einzelschicksale der Kinder von Auschwitz, denen Alwin Meyer in seinem aufrüttelndem Buch “Vergiss Deinen Namen nicht: Die Kinder von Auschwitz” eine Stimme verliehen hat. Die absolut sehenswerte und ebenso informative wie ergreifende Ausstellung kann in dieser Woche noch besucht werden!
FlexProjekt Cap Arcona 2019 "Zu Ehren Willi Neuraths"
Auch in diesem Jahr beschäftigte sich eine Projektgruppe des Küstengymnasiums Neustadt mit einem der Überlebenden der Katastrophe in der Lübecker Bucht. Im Rahmen der Erstellung eines Beitrages für die Cap Arcona Gedenkfeier am 3. Mai ging es um Willi Neurath, dessen v.a. politisch geprägte Wirkungsgeschichte vor und nach dem Untergang der Schiffe die Gruppe ebenso interessierte wie die schicksalhafte Liebesgeschichte um ihn und seine Frau Eva.
Als Grundlage der Nachforschungen, die wieder unter der Leitung von Thomas Käpernick von der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme erfolgten, dienten diesmal neben Briefen, die Willi Neurath an seine Familie und vor allem seine Frau aus dem KZ Buchenwald schrieb, auch Berichte und Texte seines Sohnes, Bruno Neurath-Wilson, mit dem die Projektgruppe im Anschluss an die Gedenkfeier sogar noch ein tolles Gespräch führen konnte.
Cap Arcona 2019 - Willi Neurath
I. Willi Neurath wird am 22.08.1911 als Sohn eines Buchdruckers in Erfurt geboren. In den 20ern tritt er der KPD bei. Zeitlebens macht sich Willi Neurath aber seine eigenen Gedanken und lässt sich so nie direkt parteipolitischen Ideen zuordnen.
Nach Abschluss einer Lehre zum Buchbinder findet er zunächst keine Anstellung und wendet sich verstärkt der Politik zu. Seine Hauptaufgabe besteht nun darin, weitere Mitglieder für die Partei zu gewinnen. Dafür bildet er sich weiter, indem er die Parteischule der KPD in Laichingen bei Solingen besucht.
Auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 setzt er sich trotz der vielen Verhaftungen von Parteimitgliedern weiterhin aktiv für seine politischen Überzeugungen ein und wird 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in den Anstalten Siegburg, Esterwegen und Vechta ableistet.
Nach Entlassung aus der Haft wird Neurath schon drei Jahre später erneut aufgegriffen und zunächst in das Untersuchungsgefängnis Köln-Klingelpütz verbracht. Hier quält ihn u.a. die ständige Ungewissheit über sein weiteres Schicksal. Der Gedanke einer möglichen Inhaftierung begleitet ihn die gesamte Zeit über, wobei er mit diesem allein gelassen wird. Seine einzige Hoffnung sind die Briefe und Besuche seiner Frau und seiner Familie. Auf die wartet er aber vergebens:
„Ich kann euch in diesem Brief auch noch keine näheren Mitteilungen machen, denn ich warte selbst mit heißem Herzen auf einen Entscheid der höheren Behörde. In der Hoffnung, dass euch dieser Brief recht bald erreichen wird, sei er euch ein erstes Lebenszeichen von mir. Nehmt es nicht für übel, wenn ich heute nur wenige Zeilen schreibe, aber das ist durch die Umstände hier bedingt, später werde ich wohl mehr schreiben können, wenn ich das Unglück haben und nicht zu euch zurückkehren kann.“ [Brief an seine Frau Eva und seine Eltern; die Zitate wurden leicht bearbeitet]
Aus diesen Ausschnitten eines von ihm geschriebenen Briefes an seine Frau und Eltern wird auch klar, dass auch die Familie sich stets in Ungewissheit über den Zustand ihres Mannes oder Sohnes befand.
II. Während seiner Haftzeit in Vechta freundet sich Willi mit einem Mithäftling an, der ihn darum bittet, nach Ende der Haftstrafe seiner Frau in Köln eine Botschaft zu überbringen. So kehrt Neurath nach seiner Entlassung nach Köln zurück, um der Bitte nachzukommen.
Dort lernt er auch die Stieftochter des Kameraden, Eva, kennen und sie verlieben sich ineinander. Anschließend heirateten die beiden am 24. Oktober 1942.
Dann jedoch wird er 1943 wieder verhaftet und in das KZ Buchenwald gebracht. Während dieser Zeit halten die Eheleute Briefkontakt; Willi schreibt ihr jeden Sonntag. Um sie zu schützen und um ihr keine Sorgen zu bereiten, erwähnt er in seinen Briefen nichts von den menschenunwürdigen Verhältnissen im Lager:
„Du brauchst dir um mich auf alle Fälle keine Sorgen zu machen, mir geht es nach wie vor gut, ich bin gesund und wohlauf, abgesehen von einer kleinen, aber wichtigen Kleinigkeit – eben dir, meiner Mutsch – fehlt mir nichts.“ […]
„Oft und oft, Mutsch, bin ich bei dir und begleite dich durch dein schweres Leben. Schön wäre es, wenn dir gelänge, noch einmal nach Memel versetzt zu werden, dann würdest du doch nicht so ganz alleine unter fremden Menschen sein. Hoffentlich gelingt es dir.“
Anders als noch in der Untersuchungshaft sind Besuche von Angehörigen in den Konzentrationslagern grundsätzlich nicht gestattet. Und dennoch kundschaften Eva und ihre Mutter die Bewachung aus, indem sie sich als Spaziergängerinnen ausgeben. Dabei stellen sie fest, dass einer der Wachen Litauisch spricht, die Muttersprache von Eva.
Mutig wagen sie das Außergewöhnliche: Eva spricht den Wächter auf Litauisch an und sagt ihm, dass sie in das Lager wolle, um ihren Ehemann zu sprechen — und das mit Erfolg: Sie kann Willi tatsächlich für einige Minuten sehen.
Im Sommer 1944 wird Neurath dann in das KZ Neuengamme verlegt. Ab diesem Zeitpunkt verliert Eva den Kontakt zu ihm und weiß nicht mehr, wo er gefangen gehalten wird. Von dort wird er schließlich Ende April mit seinen Mithäftlingen auf die Cap Arcona verbracht. Eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit seiner Frau oder gar ein Wiedersehen scheint somit ausgeschlossen. Doch auch Eva, die in der Zwischenzeit als Marinehelferin eingesetzt ist, wird im Zuge der Auflösung der deutschen Marine in den letzten Kriegstagen nach Neustadt beordert und in der U-Boot-Schule einquartiert. Als am 3.Mai 1945 die Royal Air Force die Schiffe bombardiert, kann sie natürlich nicht wissen, dass sich ihr Mann auf der „Cap Arcona“ befindet, wird jedoch von einer großen Unruhe getrieben.
Die große Katastrophe, die sich im Laufe des Tages auf der Ostsee vor Neustadt abspielt, erleben die beiden schließlich aus unterschiedlichen Perspektiven. In einem Brief, den Willi 1947 an die Witwe eines beim Angriff umgekommenen Mithäftlings und Kameraden schreibt, berichtet er von den schrecklichen Ereignissen:
„Lange waren wir nicht auf dem Schiff und dann ereilte uns unser Unglück. Am 3. Mai 1945 wurden unsere Schiffe mittags um 14.45 Uhr von englischen Bombenflugzeugen angegriffen. Und das war der Tod von 7500 Häftlingen. Hilflos waren wir dem Feuer– oder Wassertode ausgeliefert. Tausende sprangen ins Wasser und ertranken und Tausende kamen in den Flammen um. Es war furchtbar, so furchtbar, dass es kaum mit Worten zu erzählen ist.“
Willi überlebt, weil er sich in dem großen Chaos, das auf der brennenden Cap Arcona herrscht, auf das Vorschiff retten kann. Dort wird er am Ende des Tages von britischen Soldaten gerettet und verbringt die Nacht zum 4. Mai am Strand von Neustadt.
Am nächsten Morgen geht Eva zum Strand, wieso, weiß sie auch nicht. Dort kommt ihr ein Mann entgegen, verdreckt, verrußt, verwundet – völlig unkenntlich. Sie will ihn passieren, doch der vermeintlich Fremde geht direkt auf sie zu und spricht sie mit ihrem Kosenamen an. Es ist Willi. Vor Schreck fällt sie in Ohnmacht.
III. Nach 1945 bleiben Willi und Eva Neurath noch ein paar Jahre in Neustadt. Er arbeitet als Angestellter bei der Stadtverwaltung und kümmert sich mit einigen Kameraden um die Bergung der Opfer der Katastrophe und die Anlage des Cap Arcona Mahnmals. Später engagiert er sich im Kieler Innenministerium für die politischen Wiedergutmachungsfälle. Damit hat er seine ehemaligen Haftkameraden auch nachträglich unterstützen können.
IV. Nachdem wir uns nun zwei Tage mit den Briefen und Berichten von und über Willi Neurath beschäftigt haben, ist uns klar geworden, was für ein besonderer Mensch er gewesen sein muss. Wir haben uns gefragt, was das Schicksal dieses Menschen uns heute bedeuten kann. Hier ist unsere Antwort:
Wir bewundern Willi Neurath für seine Stärke und seine Hartnäckigkeit, seine Tapferkeit, sein Pflichtbewusstsein und sein Mitgefühl. Wir finden es bemerkenswert, dass er sich trotz der so verhängnisvollen und tragischen Erlebnisse nicht in seinem Wirken beeinflussen lassen hat und dass er anderen weiterhin half.
Reise in die Jungsteinzeit
Am letzten Freitag traf sich die 6d zu einem Fachtag Geschichte im ZeiTTormuseum, um das Thema Steinzeit mit allen Sinnen zu erfahren. Egal ob beim Feuermachen mit dem Feuerbohrer, beim Sägen, Schnitzen und Bohren mit einem Feuerstein oder aber beim Getreidemahlen wie die Menschen der Jungsteinzeit — alle waren begeistert bei der Sache und freuen sich jetzt auf die nächste Geschichtsstunde, in der aus dem selbst gemahlenen Mehl gebackene Kekse noch einmal an diesen lehrreichen und kurzweiligen Vormittag erinnern werden.
Jüdische Lebenswelten in Deutschland heute
In der vergangenen Woche besuchten alle Klassen unserer Schule die von der Zeitbild Stiftung konzipierte Ausstellung „Jüdische Lebenswelten in Deutschland heute“. Um Ihnen leichter Zugang zu diesem Thema zu verschaffen, hatten sich im Vorfeld zehn Schülerinnen und Schüler aus Klasse 8 bis Q2 in einem FlexProjekt gemeinsam mit Frau Schade und Frau Schröder intensiver mit dem Judentum in Deutschland auseinandergesetzt, um ihre Mitschülerinnen und Mitschüler durch die Ausstellung zu führen. Der Schwerpunkt sollte ganz bewusst nicht auf der Geschichte der Verfolgung der Juden unter dem NS-Regime stehen, sondern auf der Frage, wie Juden heutzutage in unserem Land ihre Religion leben. Aus diesem Grund besuchte die Projektgruppe die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Lübeck, wo sich Herr Leonid Kogan Zeit nahm, der Gruppe die gerade in der Endphase der Sanierung befindliche Synagoge zu zeigen. Im Anschluss präsentierte er im vorübergehenden Gebetsraum im Gemeindehaus nicht nur alle rituellen Gegenstände eines jüdischen Gottesdienstes, sondern stellte sich auch offen allen Fragen. Interessierte können die Ausstellung noch bis zum 29. November im Verwaltungsflur des KGN anschauen. Danach wird sie ins ZeitTor-Museum umziehen. Die Schülerinnen und Schüler des Flexprojektes können für einen Besuch der Ausstellung auch dort als Ausstellungsführer gebucht werden. Bei Interesse vermittelt Frau Schröder eine Führung.
FlexProjekt Cap Arcona 2021 "Ein Interview mit Zigi Shipper"
Nach einer coronabedingten Pause im letzten Frühjahr hat sich in diesem Jahr wieder eine Projektgruppe zusammenfinden können, die sich im Rahmen des schulischen Gedenkens an die Cap Arcona - Katastrophe ein weiteres Mal mit den Ereignissen am und um den 3. Mai 1945 in Neustadt beschäftigt hat. Ganz konform mit den Hygiene-Regelungen an Schulen kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nur aus einer Lerngruppe, um zwei Tage lang mit Herrn Käpernick von der Arbeitsgruppe Neuengamme einem Geschehen parallel zur Versenkung der in der Neustädter Bucht vor Anker liegenden und zu "schwimmenden Konzentrationslagern" umfunktionierten Cap Arcona und Thielbek nachzuforschen, nämlich dem Schicksal der etwa 2000 Stutthof-Häftlinge, die Neustadt auf zwei von Schleppern gezogenen Schuten am 2. Mai erreichten.
Im Rahmen des Projektes wurden Zeugenaussagen von Überlebenden und Historikertexte ausgewertet und ein Fragenkatalog zusammengestellt, der als Grundlage für eine besondere Gelegenheit genutzt werden können sollte: Ein Interview mit Zigi Shipper, den die Schülerinnen und Schüler via Zoom zusammen mit einer seiner Töchter, Michelle Richman, zu seiner Lebensgeschichte und seinen Erinnerungen an die Ereignisse in Neustadt befragen konnten.
Zygmunt Shipper wurde 1930 in Łódź geboren. Seine Mutter wanderte nach Großbritannien aus, als Zigi, wie er heute heißt, drei Jahre alt war. Den Kontakt zu seinem Vater verlor er, als dieser 1939 vor der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion floh.
Zigi Shipper war Jude und daher gezwungen, im Ghetto von Łódź in einer Metallfabrik Zwangsarbeit zu leisten. 1944 wurde er in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Von dort wurde er weiter in das KZ Stutthof bei Danzig bzw. in Außenlager des KZ gebracht.
Bei der Räumung des KZ Stutthof wurden Binnenschiffe, Schuten, eingesetzt, von denen zwei nach sechs Tagen ohne Verpflegung am 2.5.1945 in Neustadt bei den Häftlingsschiffen Cap Arcona und Thielbek ankerten. Da die Wachen die Schuten über Nacht verließen, konnten Häftlinge die Schiffe an den Strand manövrieren.
Am Morgen des 3. Mai ermordeten alarmierte Marinesoldaten und SS-Wachmannschaften mindestens 257 Häftlinge am Strand und auf dem Weg zur Marinekaserne in Neustadt, den Zigi Shipper im Interview als „Todesmarsch“ bezeichnet. Zigi Shipper war so krank, dass er drei Monate im Krankenhaus von Neustadt zubrachte und dann zu seiner Mutter nach Großbritannien auswanderte.
Es war uns eine große Ehre, mit Zigi Shipper einen Menschen kennen lernen zu dürfen, der sein Leben lang trotz des unfassbaren Leids, das er erdulden musste, den Glauben an die Menschen und die Verständigung der Völker nicht verloren hat: "Like I say to young people, there is nothing we can do about the past, but we can do a lot about the present and the future, and it’s up to young people, the most important people in the world."
Informationen zu Zigi Shipper auf der Internetseite der «Holocaust Education al Trust«
Wir bedanken uns wie immer bei Herrn Käpernick für die Möglichkeiten, die sich unseren Schülerinnen und Schülern durch sein Engagement und seine Arbeit eröffnen.
Unsere Cap Arcona - FlexProjekte
FlexProjekt Cap Arcona 2019 "Zu Ehren Willi Neuraths"
Auch in diesem Jahr beschäftigte sich eine Projektgruppe des Küstengymnasiums Neustadt mit einem der Überlebenden der Katastrophe in der Lübecker Bucht. Im Rahmen der Erstellung eines Beitrages für die Cap Arcona Gedenkfeier am 3. Mai ging es um Willi Neurath, dessen v.a. politisch geprägte Wirkungsgeschichte vor und nach dem Untergang der Schiffe die Gruppe ebenso interessierte wie die schicksalhafte Liebesgeschichte um ihn und seine Frau Eva.
Als Grundlage der Nachforschungen, die wieder unter der Leitung von Thomas Käpernick von der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme erfolgten, dienten diesmal neben Briefen, die Willi Neurath an seine Familie und vor allem seine Frau aus dem KZ Buchenwald schrieb, auch Berichte und Texte seines Sohnes, Bruno Neurath-Wilson, mit dem die Projektgruppe im Anschluss an die Gedenkfeier sogar noch ein tolles Gespräch führen konnte.
Cap Arcona 2019 - Willi Neurath
I. Willi Neurath wird am 22.08.1911 als Sohn eines Buchdruckers in Erfurt geboren. In den 20ern tritt er der KPD bei. Zeitlebens macht sich Willi Neurath aber seine eigenen Gedanken und lässt sich so nie direkt parteipolitischen Ideen zuordnen.
Nach Abschluss einer Lehre zum Buchbinder findet er zunächst keine Anstellung und wendet sich verstärkt der Politik zu. Seine Hauptaufgabe besteht nun darin, weitere Mitglieder für die Partei zu gewinnen. Dafür bildet er sich weiter, indem er die Parteischule der KPD in Laichingen bei Solingen besucht.
Auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 setzt er sich trotz der vielen Verhaftungen von Parteimitgliedern weiterhin aktiv für seine politischen Überzeugungen ein und wird 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in den Anstalten Siegburg, Esterwegen und Vechta ableistet.
Nach Entlassung aus der Haft wird Neurath schon drei Jahre später erneut aufgegriffen und zunächst in das Untersuchungsgefängnis Köln-Klingelpütz verbracht. Hier quält ihn u.a. die ständige Ungewissheit über sein weiteres Schicksal. Der Gedanke einer möglichen Inhaftierung begleitet ihn die gesamte Zeit über, wobei er mit diesem allein gelassen wird. Seine einzige Hoffnung sind die Briefe und Besuche seiner Frau und seiner Familie. Auf die wartet er aber vergebens:
„Ich kann euch in diesem Brief auch noch keine näheren Mitteilungen machen, denn ich warte selbst mit heißem Herzen auf einen Entscheid der höheren Behörde. In der Hoffnung, dass euch dieser Brief recht bald erreichen wird, sei er euch ein erstes Lebenszeichen von mir. Nehmt es nicht für übel, wenn ich heute nur wenige Zeilen schreibe, aber das ist durch die Umstände hier bedingt, später werde ich wohl mehr schreiben können, wenn ich das Unglück haben und nicht zu euch zurückkehren kann.“ [Brief an seine Frau Eva und seine Eltern; die Zitate wurden leicht bearbeitet]
Aus diesen Ausschnitten eines von ihm geschriebenen Briefes an seine Frau und Eltern wird auch klar, dass auch die Familie sich stets in Ungewissheit über den Zustand ihres Mannes oder Sohnes befand.
II. Während seiner Haftzeit in Vechta freundet sich Willi mit einem Mithäftling an, der ihn darum bittet, nach Ende der Haftstrafe seiner Frau in Köln eine Botschaft zu überbringen. So kehrt Neurath nach seiner Entlassung nach Köln zurück, um der Bitte nachzukommen.
Dort lernt er auch die Stieftochter des Kameraden, Eva, kennen und sie verlieben sich ineinander. Anschließend heirateten die beiden am 24. Oktober 1942.
Dann jedoch wird er 1943 wieder verhaftet und in das KZ Buchenwald gebracht. Während dieser Zeit halten die Eheleute Briefkontakt; Willi schreibt ihr jeden Sonntag. Um sie zu schützen und um ihr keine Sorgen zu bereiten, erwähnt er in seinen Briefen nichts von den menschenunwürdigen Verhältnissen im Lager:
„Du brauchst dir um mich auf alle Fälle keine Sorgen zu machen, mir geht es nach wie vor gut, ich bin gesund und wohlauf, abgesehen von einer kleinen, aber wichtigen Kleinigkeit – eben dir, meiner Mutsch – fehlt mir nichts.“ […]
„Oft und oft, Mutsch, bin ich bei dir und begleite dich durch dein schweres Leben. Schön wäre es, wenn dir gelänge, noch einmal nach Memel versetzt zu werden, dann würdest du doch nicht so ganz alleine unter fremden Menschen sein. Hoffentlich gelingt es dir.“
Anders als noch in der Untersuchungshaft sind Besuche von Angehörigen in den Konzentrationslagern grundsätzlich nicht gestattet. Und dennoch kundschaften Eva und ihre Mutter die Bewachung aus, indem sie sich als Spaziergängerinnen ausgeben. Dabei stellen sie fest, dass einer der Wachen Litauisch spricht, die Muttersprache von Eva.
Mutig wagen sie das Außergewöhnliche: Eva spricht den Wächter auf Litauisch an und sagt ihm, dass sie in das Lager wolle, um ihren Ehemann zu sprechen — und das mit Erfolg: Sie kann Willi tatsächlich für einige Minuten sehen.
Im Sommer 1944 wird Neurath dann in das KZ Neuengamme verlegt. Ab diesem Zeitpunkt verliert Eva den Kontakt zu ihm und weiß nicht mehr, wo er gefangen gehalten wird. Von dort wird er schließlich Ende April mit seinen Mithäftlingen auf die Cap Arcona verbracht. Eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit seiner Frau oder gar ein Wiedersehen scheint somit ausgeschlossen. Doch auch Eva, die in der Zwischenzeit als Marinehelferin eingesetzt ist, wird im Zuge der Auflösung der deutschen Marine in den letzten Kriegstagen nach Neustadt beordert und in der U-Boot-Schule einquartiert. Als am 3.Mai 1945 die Royal Air Force die Schiffe bombardiert, kann sie natürlich nicht wissen, dass sich ihr Mann auf der „Cap Arcona“ befindet, wird jedoch von einer großen Unruhe getrieben.
Die große Katastrophe, die sich im Laufe des Tages auf der Ostsee vor Neustadt abspielt, erleben die beiden schließlich aus unterschiedlichen Perspektiven. In einem Brief, den Willi 1947 an die Witwe eines beim Angriff umgekommenen Mithäftlings und Kameraden schreibt, berichtet er von den schrecklichen Ereignissen:
„Lange waren wir nicht auf dem Schiff und dann ereilte uns unser Unglück. Am 3. Mai 1945 wurden unsere Schiffe mittags um 14.45 Uhr von englischen Bombenflugzeugen angegriffen. Und das war der Tod von 7500 Häftlingen. Hilflos waren wir dem Feuer– oder Wassertode ausgeliefert. Tausende sprangen ins Wasser und ertranken und Tausende kamen in den Flammen um. Es war furchtbar, so furchtbar, dass es kaum mit Worten zu erzählen ist.“
Willi überlebt, weil er sich in dem großen Chaos, das auf der brennenden Cap Arcona herrscht, auf das Vorschiff retten kann. Dort wird er am Ende des Tages von britischen Soldaten gerettet und verbringt die Nacht zum 4. Mai am Strand von Neustadt.
Am nächsten Morgen geht Eva zum Strand, wieso, weiß sie auch nicht. Dort kommt ihr ein Mann entgegen, verdreckt, verrußt, verwundet – völlig unkenntlich. Sie will ihn passieren, doch der vermeintlich Fremde geht direkt auf sie zu und spricht sie mit ihrem Kosenamen an. Es ist Willi. Vor Schreck fällt sie in Ohnmacht.
III. Nach 1945 bleiben Willi und Eva Neurath noch ein paar Jahre in Neustadt. Er arbeitet als Angestellter bei der Stadtverwaltung und kümmert sich mit einigen Kameraden um die Bergung der Opfer der Katastrophe und die Anlage des Cap Arcona Mahnmals. Später engagiert er sich im Kieler Innenministerium für die politischen Wiedergutmachungsfälle. Damit hat er seine ehemaligen Haftkameraden auch nachträglich unterstützen können.
IV. Nachdem wir uns nun zwei Tage mit den Briefen und Berichten von und über Willi Neurath beschäftigt haben, ist uns klar geworden, was für ein besonderer Mensch er gewesen sein muss. Wir haben uns gefragt, was das Schicksal dieses Menschen uns heute bedeuten kann. Hier ist unsere Antwort:
Wir bewundern Willi Neurath für seine Stärke und seine Hartnäckigkeit, seine Tapferkeit, sein Pflichtbewusstsein und sein Mitgefühl. Wir finden es bemerkenswert, dass er sich trotz der so verhängnisvollen und tragischen Erlebnisse nicht in seinem Wirken beeinflussen lassen hat und dass er anderen weiterhin half.
FlexProjekt Cap Arcona 2016 "Zu Ehren Henryk Francuz"
15 Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Jahrgangsstufen haben sich in den vergangenen drei Tagen unter Anleitung des Historikers Thomas Käpernick mit der Lebensgeschichte eines Überlebenden der Cap Arcona Katastrophe beschäftigt. Ziel war es, dem im letzten Jahr Verstorbenen Henryk Francuz ein "kleines Denkmal” zu setzen. Neben der Recherche-Arbeit, deren Ergebnis folgender Text ist, hat die Gruppe auf der Grundlage von Zitaten aus Francuz’ Lebensbericht auch gestalterisch gearbeitet. Die Ergebnisse können neben einigen Bildern vom Projektablauf weiter unten betrachtet werden.
Besonders schön ist, dass die Projektgruppe über Herrn Käpernick zum Abschluss noch den Sohn des Verstorbenen via E-Mail kontaktieren und von ihrem Vorhaben und den Ergebnissen informieren konnte. Dies ist seine Antwort:
Henryk FrancuzHello Thomas, I am very touch my father was a very special man, I’m with tears that someone remembers his journey of life. The war for my father did not stop when he was liberated. Everyday he fought his own demons and I as a child was part of it. I thank you so much for making my fathers name known. Thank the children who are doing there works on the holocaust, they must know that a person lives and dies but he has a name. My father was very dear to me. My flesh and blood. I respect your work very much. I want to add that Germany suffered very much and I respect the people. […]
Sincerely yours
Michael Adam Francuz
„I did not have a happy childhood during the time shortly before my father died and afterwards.“
Henryk Francuz wurde am 16. Februar 1925 in Lodz, Polen, geboren. Seine leibliche Mutter verstarb 1928, als er drei Jahre alt war, sein Vater zwei Jahre vor dem Krieg im Dezember 1937, während er noch zwölf war. Seine Stiefmutter und ihre Familie prägten vor allem seine Kindheit. Er wusste bis zu seinem neunten Lebensjahr nicht, dass sie seine Stiefmutter war.
Vom Kindergarten bis zur siebten Klasse ging er zu einer hebräischen Schule. In seiner Freizeit war er aktiv in mehreren zionistischen Jugendgruppen tätig, beschreibt sich aber insgesamt als unpolitischen Menschen, der nicht wusste, was „im Land geschah oder im Osten vor sich ging.“ Er sprach zwei Sprachen – Hebräisch und Polnisch, allerdings nicht Yiddish, was zu Problemen führte, als er 1939 ins Ghetto kam, da er sich dort nach eigenen Angaben nicht mit den anderen austauschen konnte.
„I was not a political animal.“
Die Schwestern seiner Stiefmutter nahmen ihn bei sich auf. Die eine war Zahnärztin, der zweiten gehörte eine Bibliothek. Er selbst machte eine Ausbildung zum Elektriker. Ins Ghetto ging er, nachdem in seinem Viertel nachts regelmäßig und willkürlich Menschen ermordet worden waren. Im Ghetto selbst übten seine Tanten ihre Berufe weiter aus, während er in Fabriken oder Bäckereien elektrische Anlagen reparierte.
„The most famous Aktion was the Sperre”
Die Zustände im Ghetto verschlechterten sich zunehmend. Krankheit, Kälte und Hunger wurden allgegenwärtig, die Menschen wurden von der Außenwelt vollkommen isoliert, die einzigen Informationsquellen waren wenige Radios und Zeitungen. Als besonders drastisch empfand Henryk Francuz die so genannten „Sperren“, Aktionen der SS, bei denen schwache und kranke Menschen in Konzentrationslager deportiert wurden: „The most famous Aktion was the Sperre, which lasted more than a week — ten days. The term Sperre means blockade. One could not go out in the streets and the Germans would go with the Jewish police and they would fill the daily quota with weak and sick people. My step mother was taken during the Sperre.“
„The difference was, that despite all the hunger and cold, here in the camp you where without family. It was a different planet.”
Um nicht Ziel der regelmäßigen Deportationen zu werden, versteckte sich Henryk Francuz mit anderen im Ghetto. Bei der endgültigen Räumung des Ghettos wurde jedoch auch er entdeckt und in einem Zug nach Marishin und später in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt. Francuz versuchte aus einem der kleinen Wagons, in die jeweils 40–50 Menschen gepfercht worden waren, zu entkommen, doch er war auf die Hilfe anderer Gefangener angewiesen, die jedoch Angst vor den Deutschen hatten und das Risiko erwischt zu werden nicht eingehen wollten.
Als sie im „Camp“ – Auschwitz Birkenau – ankamen, wurde Francuz bei der Selektion für arbeitsfähig befunden und im folgenden auf erniedrigende Weise komplett rasiert, desinfiziert, geduscht und in die Häftlingsuniform gekleidet, die er als „Clownskostüm“ beschreibt. Das Schlimmste in Birkenau seien laut Francuz nicht Kälte und Hunger, sondern die Einsamkeit ohne die Familie gewesen, denn in den Baracken herrschten grausame Bedingungen: Die Menschen schliefen „übereinander gestapelt“ und ohne Decke auf dem Betonboden. Außerdem litt er unter der Schikane des „Blockältesten“, einem Häftling, der für die Ordnung und Sauberkeit in der Baracke zuständig gewesen war, in seinem Fall ein polnischer Häftling. Der Blockälteste stahl den anderen Insassen das Essen, um selber besser zu leben; auch Henryk Francuz wurde täglich seiner kleinen Portion Margarine beraubt.
“I was the only one who did not step out.“
Aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung als Elektriker wurde Francuz in ein Außenlager – Auschwitz Fürstengrube – gebracht. Am Anfang machte Fürstengrube einen besseren Eindruck als Birkenau, da die Bedingungen ihm zunächst erträglicher erschienen. Man ließ ihn andere Kleidung für die Arbeit anziehen, um ihn vor den nassen Wänden der Mine zu schützen, er konnte warm duschen und deutsche Soldaten von der Luftwaffe gaben ihm unbemerkt etwas zu Essen. Doch auch in Fürstengrube wurden Häftlinge Opfer der SS. Francuz war im Zuge einer Lager-Aktion, bei der alle jüdischen Insassen des Außenlagers ermordet wurden, nur knapp dem Tode entronnen, da er sich nicht als Jude zu erkennen gab.
„The ship began to explode, and fire…and everything was flying around.“
Francuz blieb bis zur kompletten Räumung des gesamten Lagerkomplexes am 18. Januar 1945. Dann ging er mit etwa 1000 Häftlingen am so genannten „Todesmarsch“. Schon auf der ersten Etappe, die Francuz nach Dora-Nordhausen führte, wo er von Februar bis März in unterirdischen Einrichtungen beim Bau der V1– und V2-Raketen Zwangsarbeit leisten musste, verstarb rund die die Hälfte der Häftlinge des Marsches an Hungersnot und Kälte. Wegen der näher rückenden Roten Armee wurden Francuz und die weiteren Überlebenden zunächst in Züge und dann auf eine Fähre verfrachtet und legten anschließend noch eine Wegstrecke von 40–50 km zu Fuß bis nach Ahrensbök bzw. Siblin zurück. Von dort aus ging es dann Ende April 1945 über Pönitz und Süsel nach Neustadt in Holstein, wo Francuz schließlich am dritten Mai auf den ehemaligen Luxusdampfer Cap Arcona kam.
Die Bombardierung des Schiffes überlebte er, obwohl er nicht schwimmen konnte, indem er sich an einer Holzplanke festhielt. Erst am Abend wurde er von einem britischen Boot in den Hafen transportiert und verbrachte die Nacht in einem Speicher am Neustädter Bahnhof. Wegen der Verbrennungen, die er sich bei der Flucht von dem brennenden Schiff zugezogen hatte, musste er zehn Tage im Krankenhaus bleiben.
„There are things that are more universal than the narrow perspective of the good of a nation.“
Henryk Francuz blieb bis zum Sommer 1947, begann sogar ein Studium, das er nach seiner Rückkehr nach Polen beendete. Dort lernte er dann auch seine Frau Dorota kennen, die bereits im selben Ghetto wie er gewesen war, und zog im Mai 1957 mit ihr nach Israel. 1987 emigrierte er nach Washington, wo er fünf Jahre wohnte und sein Sohn Michael geboren wurde. 2012 und 2016 erinnerte er auf den Gedenkfeiern zur Katastrophe in der Lübecker Bucht an die Leiden der Häftlinge und richtete einen wichtigen Appell an die nachfolgenden Generationen: „Lasst es nicht wieder geschehen.“
Im Sommer 2017 verstarb er in Tel Aviv.
FlexProjekt Cap Arcona 2017 "Szenische Lesung"
Auch der diesjährige Beitrag des Küstengymnasiums an der Gedenkfeier zum Untergang der Cap Arcona Katastrophe am 3. Mai 1945 wurde im Rahmen eines Flexprojektes ausgearbeitet. Elf Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen 9 und E beschäftigten sich an drei Schultagen intensiv mit den Ereignissen und Zusammenhängen rund um den Untergang der Häftlingsschiffe in der Neustädter Bucht. Besonders spannend gestaltete sich diesmal die Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen.
So stand nach einer Einführung und einer Begehung der Gedenkstätte im Rahmen des Projektes auch ein Besuch des Cap Arcona Museums an, bei dem die Gruppe sich bei Herrn Lange Fundstücke anschaute und weitere Informationen zu den tragischen Umständen einholte, die letztlich zur Katastrophe geführt haben. Einen Schwerpunkt bildete zudem die Frage, wie das Thema für die jüngeren Generationen, aber auch für die Stadt und die Region bedeutend bleiben kann.
So gerüstet ging es an die Arbeit: Zusammen mit Herrn Thomas Käpernick vom Arbeitskreis Cap Arcona sollte ein Beitrag für die Gedenkfeier entstehen, der die Ereignisse um den 3. Mai 1945 aus der Sicht einiger Überlebender schildert und so versucht, einen kleinen Einblick in die Ängste und das Leiden, aber auch den unerschütterlichen Willen und die Hoffnungen der Häftlinge zu vermitteln. Zu diesem Zweck arbeitete die Gruppe an verschiedenen Zeitzeugenberichten, die Herr Käpernick zuvor im Archiv der Gedenkstätte Neuengamme ausgewählt und zur Verfügung gestellt hatte.
Im Rahmen der Gedenkfeier wurde das Ergebnis dieser Arbeit dann in Form einer Szenischen Lesung präsentiert.
Denkt@g-Preis für das Cap Arcona-Filmprojekt
Ein großer Erfolg: Für den 24. und 25. Januar wurden die Teilnehmer des Cap Arcona-Filmprojektes aller drei Neustädter Schulen im Rahmen der Auszeichnung der Preisträger des Denkt@g-Wettbewerbes der Konrad-Adenauer-Stiftung nach Berlin eingeladen. Neben der Zeremonie am Freitag gab es ein tolles Rahmenprogramm : Nach dem Besuch der neuen Synagoge im Centrum Judaicum ging es zum Anne Frank-Zentrum in den Hackeschen Höfen. Eine Vielzahl von detaillierten Informationen prasselte innerhalb kürzester Zeit auf die Projektteilnehmenden ein, sodass alle glücklich waren, beim Abendessen Zeit zum Durchschnaufen und Verarbeiten zu haben, bevor am Abend schließlich noch eine Lesung des Ende letzten Jahres erschienenen Romans “Deutsches Haus” von Annette Hess anstand. Bei der Preisverleihung am Freitag wurden — begleitet von Musik und Gästen wie dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert — dokumentarische, analytische und philosophische Beiträge geehrt. Eine ernste, emotionale und überaus spannende Veranstaltung, die anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ins Leben gerufen wurde.
FlexProjekt Cap Arcona "Erinnern heißt verstehen"
Die vergangenen drei Schultage stellten für elf Schülerinnen und Schüler aus den Klassenstufen 7 bis Q1 des Küstengymnasiums eine ungewöhnliche Herausforderung dar. Sie wurden mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, einen Beitrag der Schule für die Gedenkfeier zum 71. Jahrestag der Cap-Arcona-Katastrophe zu erarbeiten. „Gegen das Vergessen“ lautet die Überschrift, unter der die Schüler nun ein Zeichen setzen wollen, das nicht nur ihre Altersgenossen dazu anregen soll, sich an diesen dunklen Moment der Neustädter Geschichte zu erinnern, sondern alle Neustädter auffordert, der Geschichte ihrer Heimatstadt wieder gewahr zu werden: Am Gedenktag starten vom Gelände des Ehrenmals aus 71 Luftballons (für jedes Gedenkjahr einer), die auf Karten geschriebene Zitate der Überlebenden tragen und den Findern Anlass zur Erinnerung und Mahnung sein sollen.
Für die Zeit des Projektes, das neben dem regulären Unterricht stattfand, wurden die Schüler vom eigentlichen Unterricht freigestellt und arbeiteten weitgehend selbständig mit viel Engagement und Ernsthaftigkeit an der Umsetzung ihrer Ideen. Dabei ging es zunächst darum, sich mit der Geschichte des Untergangs an sich und der Problematik der Aufarbeitung zu beschäftigen, was gerade für die jüngeren schon eine gewisse Herausforderung darstellte. Gemeinsam mit den beratenden Lehrern wurden die nächsten Schritte geplant und umgesetzt – vom Studium der Berichte der Überlebenden und der Auswahl geeigneter Zitatstellen über die Gestaltung der Karten bis hin zur Formulierung einer kurzen Rede für die Gedenkfeier, die den Abwesenden die Idee des Projektes erläutern soll. Auch der Auftritt auf der Gedenkfeier und v. a. die Rede stellten eine nicht alltägliche Aufgabe dar und musste geübt werden.
Wenngleich unsere Ballons letztlich nicht wirklich auf Reise gehen konnten, setzte unsere Aktion einen wohl allen in Erinnerung bleibenden Schlusspunkt für die sehr bewegende Gedenkfeier, von der uns vor allem die Redebeiträge der Überlebenden beeindruckt haben.
FlexProjekt Cap Arcona 2015 "Die Katastrophe in der Neustädter Bucht"
Der Beitrag des Küstengymnasiums zum Gedenken an die Cap Arcona-Katastrophe bildete am 4. Mai den Abschluss einer Reihe beeindrucktender und eindringlicher Veranstaltungen zum 70. Jahrestag der Tragödie in der Neustädter Bucht. Zuvor war die Szenische Lesung im Rahmen des Erinnerungskonzeptes der Schule allen Schüler*innen ab der 8. Klasse gezeigt worden.
Besuch der Anne-Frank-Ausstellung im zeiTTor
Am Freitag öffnete die Anne-Frank-Ausstellung in Neustadt ihre Tore. Als erste von über 800 Schüler*innen der Region durften zwei 8. Klassen des Küstengymnasiums die interaktive Ausstellung besuchen. Dabei ging es nicht nur um die Lebensgeschichte Annes, sondern auch die Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus heute.
Geführt wurden sie von „Peerguides“ aus dem Geschichts-Profilkurs unserer Oberstufe, die in der vergangenen Woche zwei Tage lang vom Anne-Frank-Zentrum Berlin dazu ausgebildet wurden.
Nach der Begrüßung durch den Projektleiter Mano Salokat ging es für eine Klasse erstmal mit Wilhelm Lange auf Spurensuche durch Neustadt. Der Cap-Arcona-Experte verdeutlichte an unterschiedlichen Schauplätzen eingehend die zeitlichen und vor allem thematischen Bezüge zum Schicksal Anne Franks. Ausgrenzung und Gewalt gegen Minderheiten – vor allem aber die Frage, wie wir uns gegen Ungerechtigkeit und Únrecht stellen können, die uns heute noch immer begegnen, waren neben der Lebensgeschichte und dem Tagebuch der Anne Frank dann auch zentrale Themen beim Besuch der Ausstellung. Das Prinzip der "Peerguides", dass Jugendliche Jugendliche begleiten, ist dabei voll aufgegangen.
Beide Klassen trafen sich am Ende des Besuches wieder und tauschten Eindrücke und Erlebnisse aus – eine gelungene Zeitreise, die die Schüler*innen sicher auch ihre Gegenwart mit anderen Augen sehen lässt!
Steinreich!
Steinreich! Hinter diesem Titel verbirgt sich die aktuelle Sonderausstellung des Hansemuseeums in Lübeck, die die Geschichte der Hanse anhand verschiedener Stationen erzählt. Diese Stationen sind unglaublich liebevoll gestaltete Schaukästen, in denen aus Lego gebaute Szenen aus dem Leben der Kaufleute, Stadtansichten, Gebäude und vieles mehr zentrale Ereignisse und Begriffe des Hanselebens anschaulich vermitteln. Grund genug, dass unsere 7a sich auf ihrem Klassenausflug auf diese tolle Zeitreise begeben hat. Beim nachvollgenden Stadt- und Weihnachtsmarktbummel konnten die Inhalte und Eindrücke dann noch einmal abgeglichen werden!
FlexProjekt Cap Arcona 2022 "Zu Ehren Roger Vyveys"
Roger Vyvey (1920-2003) lebte in Nieuwpoort, Belgien. Die Stadt lag in der Sperrzone, die die deutschen Besatzer für den Bau des Atlantikwalls errichteten. Roger Vyvey schloss sich 1942 einer Widerstandsgruppe an, die Informationen für die britische Armee sammelte. Am 14.4.1944 wurde er von deutscher Feldpolizei verhaftet, nachdem die Gruppe durch Verrat enttarnt worden war. Die Deutschen verhörten und folterten ihn und deportierten ihn am 30.8.1944 mit 2000 anderen Verfolgten aus Antwerpen in einem Viehwaggon.
Im KZ Neuengamme erhielt Roger Vyvey die Häftlingsnummer 44 444. Er musste mit 400 anderen Belgiern im KZ-Außenlager Bremen-Blumenthal für die Deschimag-Werft Zwangsarbeit leisten. Nach einem Schaden an einer Maschine wurde Roger Vyvey der Sabotage beschuldigt und zur Strafe gefoltert. Anfang April 1945 wurde das KZ-Außenlager geräumt, zuerst in einem Todesmarsch und dann mit Viehwaggons über Neuengamme nach Lübeck auf die Häftlingsschiffe. Roger Vyvey erinnerte später vor allem das Sterben von Mithäftlingen auf der „Cap Arcona“ und der „Athen“ in den Tagen vor dem 3. Mai. Er gehörte zu der Häftlingsgruppe, die den Bomben entgingen, weil sie am 3. Mai 1945 auf der „Athen“ befreit wurden.
Roger Vyvey war sehr geschwächt. Nachdem er zu seiner Mutter zurückgekehrt war, merkte er, dass seine Berichte aus der Haft in Nieuwpoort auf Unglauben stießen. Roger Vyvey engagierte sich im „Belgische Vriendenkring Neuengamme“. Sein Enkel Kristof van Mierop lernte die Geschichte seines Großvaters kennen und trat, nachdem er 2015 eine Fahrt nach Neuengamme und Bremen unternommen hatte, in den Vriendenkring ein. Er ist nun Generalsekretär der Amicale Internationale KZ Neuengamme.
Kristof van Mierop hat das Projekt mit Material unterstützt und stand den Schülerinnen und Schülern für Fragen zur Verfügung. Für ihn sind Kunstwerke, die ihm zur Erinnerung am 3. Mai persönlich übergeben werden.
FlexProjekt Cap Arcona 2023 "Zu Ehren Kazimierz Wajsen"
Auch in diesem Jahr haben wir einen Beitrag für die Gedenkfeier am 3. Mai gestalten dürfen. Mit an Bord auch Thomes Käpernick, mit dem wir auch in den letzten Jahren zusammenarbeiten konnten. Sechs Schülerinnen und Schüler aus unseren 8. Klassen haben sich per ZOOM mit der Enkelin Kazimierz getroffen, den Erinnerungen von Magda und ihrem Bruder gelauscht, Fragen gestellt und Informationen gesammelt. Aus diesem Interview ist eine kleine, hoffentlich aber irgendwie auch besondere Rede geworden, die alle gemeinsam am 3. Mai gehalten haben. Wie immer hat Thomas Käpernick die wichtigsten Daten vorab zusammengefasst:
In einem mehrtägigen Projekt haben 6 Schüler*innen des Küstengymnasium das Schicksal des polnischen Häftlings der Cap Arcona und Athen Kazimierz Wajsen kennengelernt. Dabei half uns dessen Enkeltochter Magda Wajsen, die heute unter uns ist.
Kazimierz Wajsen war Häftling des KZ Neuengamme im Kommando Klinkerwerk und im Außenlager Uelzen. Seine Entwurzelung begann 1943 im Alter von 20 Jahren mit der Flucht der Familie vor nationalistischen ukrainischen Truppen. Anschließend deportierten ihn die Deutschen zur Zwangsarbeit nach Hamburg. Zwei Male kam er in Gestapohaft: im Gefängnis Fuhlsbüttel und im Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg. Vorgeworfen wurden ihm kollektive Aktionen in den Zwangsarbeitslagern. Für eine Verhaftung genügte der Gestapo bekanntlich ein Verdacht und so lieferte sie ihn 1945 im KZ Neuengamme ein. Seine Häftlingsnummer lautete 76633.
Kazimierz Wajsen überlebte die Häftlingsschiffe, weil er von der Cap Arcona auf die Athen kam, die am 3. Mai im Neustädter Hafen lag, da sie Häftlinge des KZ Stutthof aufnehmen sollte.
K.:
Magda hat uns erzählt, dass ihr Großvater seine Häftlingsnummer fast wie einen Schatz gehütet hat. Er hatte auch andere Dinge behalten, wie zum Beispiel Fotos mit anderen Zwangsarbeitern. Doch am wichtigsten war ihm seine Häftlingsnummer, die er sogar extra in einen Umschlag gepackt und zu seinen wichtigsten Dokumenten gelegt hat, obwohl sie ja aus der schlimmsten Zeit seines Lebens stammte.
Er hielt an ihr fest, um beweisen zu können, dass er so viel Ungerechtigkeit und Leid ertragen musste. Er wollte den Beweis für seinen Widerstand und seinen Kampf bewahren – er wollte, dass ihm geglaubt wird!
A.:
Ganz besonders beeindruckend an Kazimierz war sein sehr starker Wille, er hat niemals aufgegeben und Zeit seines Lebens versucht, Dokumente zu finden, mit denen er die Jahre der Verschleppung und Entwurzelung anerkennen lassen hätte können.
Erst nach seinem Tod hat die Familie dann diese Dokumente bekommen – er selbst, der so lange dafür gekämpft hatte, hat sie nie gesehen.
M.:
Kazimierz war sehr mitfühlend und konnte sich gut in die Menschen hineinversetzen. Deshalb war es ihm so wichtig, seine Kinder und Enkelkinder zu schützen, indem er ihnen nicht viel von der Zeit erzählte. Wie sollte denn auch ein Kind nur diese grausamen Taten verstehen können? Magda erinnert sich lediglich an einen Moment, als sie und ihr Bruder mit kleinen Plastiksoldaten spielten und ihr Großvater eine der Figuren hochnahm und sagte: „Dieses Gewehr wird nicht mehr schießen!“
O.:
Kazimierz war ein ganz besonders leidenschaftlicher Gärtner, der mit seiner großen Liebe zur Natur und zu Tieren einen Ort geschaffen hat, in dem die Familie sich begegnete. Er reparierte alles selbst und war, wie wir heute sagen würden, ein „Selbstversorger“.
In diesem Garten war er von niemandem abhängig und niemand konnte ihm sagen, was er machen solle.
Der Garten war für ihn der Ort, wo er Wurzeln schlagen und sich niederlassen konnte. Endlich gab es nach den Jahren der Verschleppung etwas, das ihm gehörte, das sicher war und das er für andere gestalten konnte.
M.:
Kazimierz ist Magdas großer Held. Auch für uns kann er ein großes Vorbild sein. In der Zeit, in der er so viel Schreckliches erleben musste, hat er es geschafft, nie aufzugeben und immer weiterzumachen, sich aufzulehnen und sich nicht zu beugen.
Dies ist sehr bewundernswert und wir können uns nicht vorstellen, dass uns das gelingen würde. Dabei hat er auch noch immer an andere gedacht und wollte, dass es seiner Familie immer gut geht.
C.:
Und auch Magda ist für uns ein Vorbild, weil sie die Erinnerung an diesen besonderen Menschen wachhält und uns und unserer Generation von Kazimierz erzählt hat. Ihr Großvater lebt auf diese Weise nicht nur in Magdas Familie weiter, sondern auch wir werden uns an ihn und seine Geschichte erinnern.
Magda war bei seinem Tod erst 10 Jahre alt und konnte das tragische Leben ihres Großvaters noch nicht verstehen. Bestimmt hätte sie gerne mehr Zeit mit ihm verbracht und ihn noch vieles gefragt und seiner Erzählung gelauscht. Und das würden wir auch gerne tun, hätten ihm geantwortet:
„Wir sind deine Zeugen geworden – wir können deine Geschichte beweisen!“
FlexProjekt Cap Arcona 2024
Im Rahmen des diesjährigen Flexprojektes zum Gedenken an die Opfer der Bombardierung der drei Häftlingsschiffe haben sich acht Schülerinnen und Schüler unserer Schule drei Schicksalen von Häftlingen des KZ Neuengamme gewidmet.
Stellvertetend für die 7.000 Opfer und die wenigen Überlebenden erforschten die Zehntklässler zusammen mit Thomas Käpernick vom Arbeitskreis Neuengamme die Biografien von Heinrich Roth, André Mandrycxs und Aleksandr Chroroschun in der Gedenkstätte und dokumentierten die Ergebnisse in kurzen Filmen.
Heinrich Roth wurde aufgrund seiner Homosexualität verfolgt und starb am 3. Mai 1945. André Mandrycxs war ein belgischer Widerstandskämpfer und wurde für sein mutiges Auftreten im KZ geehrt, auch er starb am 3. Mai 1945. Aleksandr Chroroschun aus Russland wurde im KZ Neuengamme Opfer der medizinischen Experimente von Dr. Kurt Heißmeyer, er überlebte den 3.5.1945.
Videos
Heinrich Roth
Informationen über Heinrich Roth, gestorben am 3. Mai 2045 im Konzentrationslager Neuengamme
André Mandrycxs
Informationen über André Mandrycxs, gestorben am 3. Mai 2045 im Konzentrationslager Neuengamme
Aleksandr Chroroschun
Informationen über Aleksandr Chroroschun, Überlebender des Konzentrationslagers Neuengamme
Respekt ist nichts für Feiglinge
"Respekt ist nichts für Feiglinge. Es braucht Mut, einen Menschen so zu akzeptieren, wie er ist." Mit diesen Worten endete nach kurzweiligen 90 Minuten die Autorenbegegnung im Küstengymnasium am vergangenen Dienstag mit der Autorin Ursula Flacke, die während der Begegnung einige Passagen aus ihrem historischen Jugendroman "1933 Feuer!" las.
Vier Klassen des 8. und 9. Jahrgangs lernten unter anderem die Protagonisten des Romans Elisa, Richard sowie Friedrich kennen, die durch den Einfluss der Nationalsozialisten vor vielen Herausforderungen und gesellschaftlichen Veränderungen standen. Im Gespräch mit der Autorin wurde darüber hinaus besprochen, weshalb heutige Werte wie (Meinungs-)Freiheit, Respekt oder Hilfsbereitschaft kostbar sind und wir als Gesellschaft die Courage haben müssen, diese Werte auch aktiv zu vertreten und für diese einzustehen.
Wir danken Frau Flacke für die spannenden Eindrücke aus dem Roman und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen bei uns am Küstengymnasium!